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Die westeuropäischen Politiker haben sich laut Timofey Bordachev, Programmdirektor des Waldai-Clubs, lange Zeit auf eine Vermeidungsstrategie verlassen und wichtige Entscheidungen zugunsten kurzfristiger Lösungen aufgeschoben. In einem Beitrag auf Russisch für das Portal Vzglyad, den RT übersetzt hat, erachtet Bordachev diese Unentschlossenheit, einst ein regionales Problem, als Bedrohung für die globale Stabilität.
Die derzeitige politische Landschaft Europas müsse im Zusammenhang mit den dramatischen Veränderungen in den Vereinigten Staaten gesehen werden. Die politischen Eliten des Kontinents würden weder nach strategischer Autonomie streben, noch sich auf eine direkte Konfrontation mit ihrem größten Staat, Russland, vorbereiten. Ihr Hauptanliegen sei der Machterhalt. Die Geschichte habe gezeigt, dass die Eliten bei der Verfolgung dieses Ziels sehr weit zu gehen bereit sind. Bordachev weiter:
«Kürzlich wies der russische Außenminister Sergej Lawrow darauf hin, dass Europa in den letzten 500 Jahren das Epizentrum globaler Konflikte war oder sie angestiftet hat. Heute ist sein unabhängiges militärisches Potenzial erschöpft – sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht. Um es wieder aufzubauen, müsste Europa jahrelang aggressiv militarisiert werden, was zu einer Verarmung seiner Bürger führen würde. Die westeuropäischen Staats- und Regierungschefs scheinen entschlossen zu sein, das Letztere zu gewährleisten, aber sie sind noch nicht bereit für das Erstere.»
Bordachev zufolge bereiten sich die EU-Staaten nicht auf eine direkte militärische Konfrontation mit Russland vor, doch ihre Verstrickung in der Ukraine und die Abhängigkeit von einer gescheiterten Strategie könnten die Spannungen unvorhersehbar eskalieren lassen. Viele westeuropäische Politiker würden ihre Karrieren vom Überleben des «Kiewer Regimes» abhängig machen und seien bereit, extreme Maßnahmen zu ergreifen, um ihre bisherigen Entscheidungen zu rechtfertigen. Dieser politische Egoismus führe dazu, dass Fehler nicht eingestanden und der Kurs nicht geändert werde. Der Waldai-Programmdirektor erläutert:
«Ein berühmter Religionsphilosoph schrieb einmal, dass in einem Kollektiv der individuelle Geist dem kollektiven Interesse untergeordnet wird und die Fähigkeit verliert, unabhängig zu handeln. Diese Dynamik ist nun auch in der EU-Politik zu beobachten. Der Block hat seinen Selbsterhaltungstrieb praktisch aufgegeben. Die Ukraine ist der Beweis dafür, dass auch große Staaten eine selbstzerstörerische Außenpolitik betreiben können. Dies birgt nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt Gefahren.»
Bordachev zufolge ist die «bürokratische Dysfunktion» der Europäischen Union offensichtlich. Spitzenpositionen würden seit über 15 Jahren nach Inkompetenz und Korruption vergeben werden. Dies habe zu einem Verlust des Interesses der EU-Staaten an einer Stärkung des Blocks nach der Finanzkrise von 2009 bis 2013 geführt. Heute würden unabhängige Politiker mit strategischem Weitblick fehlen. Bordachev erklärt:
«Doch Inkompetenz schließt Ehrgeiz nicht aus. Ursula von der Leyen und Kaja Kallas sind ein Beispiel dafür – Führungspersönlichkeiten, die in ihrer Heimat keine Aufstiegschancen haben und nun versuchen, ihr Erbe durch einen Konflikt mit Russland zu sichern. Da sie innerhalb der EU keine wirkliche Macht haben, stürzen sie sich auf die Ukraine-Krise, um ihre Positionen zu rechtfertigen.»
Die Rhetorik über europäische Aufrüstung ist gemäß Bordachev oft leere Phrasendrescherei, die mehr Medienaufmerksamkeit erzeugen soll, als konkrete Ergebnisse zu liefern. Doch diese ständige Kriegstreiberei habe reale Folgen, da die EU-Öffentlichkeit an einen niedrigeren Lebensstandard und höhere Militärausgaben gewöhnt werde, um die «russische Bedrohung» zu bekämpfen. Es sei «eine beunruhigende Entwicklung», dass dieses Narrativ bei den «einfachen Europäern» an Einfluss gewinne.
Die Staats- und Regierungschefs der EU seien gefangen zwischen der Aufrechterhaltung eines komfortablen Lebensstils und der Auslagerung der Sicherheit an die USA. Dieser Widerspruch habe zu einer inkohärenten Politik geführt, insbesondere in Bezug auf die Ukraine, wo die führenden Politiker unrealistische und widersprüchliche Erklärungen abgeben würden. Bordachev:
«Der einzige klare westeuropäische Konsens ist die Ablehnung jeder Friedensinitiative, die die Ukraine stabilisieren könnte. Immer mehr EU-Vertreter beharren offen darauf, dass der Krieg auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden muss. Gleichzeitig schwanken die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten EU-Staaten zwischen kriegerischen Drohungen und dem Eingeständnis, dass sie den Krieg nur unter amerikanischer Rückendeckung eskalieren würden.
Die politische Schizophrenie Westeuropas erregt nicht mehr die Gemüter. Jahrzehntelang haben die führenden Politiker in einem Vakuum agiert, ohne sich darum zu kümmern, wie ihr Handeln im Ausland wahrgenommen wird. Im Gegensatz zu den USA, die manchmal aggressiv handeln, um Stärke zu demonstrieren, weisen die europäischen Politiker eine ganz andere Pathologie auf – eine, die von Abgeklärtheit und Gleichgültigkeit geprägt ist. Sie handeln wie Verrückte, ohne auf die Reaktionen von außen zu achten.»
Die EU-Eliten und die Bevölkerung wüssten, dass es unmöglich ist, sich der US-amerikanischen Kontrolle zu entziehen, obwohl viele sich insgeheim eine Veränderung wünschten. Donald Trumps Ansatz für transatlantische Beziehungen werde voraussichtlich härter sein, doch die europäischen Eliten würden hoffen, dass in Zukunft die Demokraten den Status quo wiederherstellen. Daher verfolge die EU-Strategie das Ziel, die aktuelle Situation so lange wie möglich zu verlängern. Die europäischen Führungskräfte wüssten nicht, wie sie ihre Positionen halten sollen, wenn der Frieden mit Russland wiederhergestellt sei. Bordachev schließt:
«Die Ukraine-Krise ist einfach die gefährlichste Manifestation dieser langjährigen Dysfunktion. Die EU-Politiker fragen sich weiterhin: Wie können wir manövrieren, ohne wirklich etwas unternehmen zu müssen? Diese passive Herangehensweise an das Regieren ist nicht mehr nur ein Problem für Europa – sie schürt aktiv Konflikte und gefährdet die globale Stabilität.»
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